Vom Glück des Nichtstuns


Ulrich Schnabel | Der trendresistente Maler Manfred W. Jürgens

Galerie der Müssiggänger/innen · Querdenker, Pausenkünstler und Abwesenheitsexperten | Blessing Verlag · Kurzer Auszug aus dem Buch musse


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Das Gedränge ist gross vor der Kneipe Zum Silbersack auf St. Pauli. Um die Ecke stehen die ersten Huren, wenige Meter weiter ist die Reeperbahn, überall lärmende Nachtschwärmer, angetrunkene Jugendliche und verschämt schauende Touristen. Doch im Silbersack drängen sich die Menschen heute Abend nicht wegen der Mädchen, der Musik oder des Bieres, sondern weil Manfred W. Jürgens zur 1. Hamburger Ein-Bild-Ausstellung geladen hat.

Ganz hinten in der Ecke sitzt der Maler mit den roten Locken, schreibt seit Stunden Autogramme und strahlt übers ganze Gesicht. 'Unglaublich', ruft er durch das Stimmengewirr, 'so etwas habe ich noch in keiner Galerie erlebt, alle zwei Stunden ein neues Publikum.' Neben Jürgens hängt die Chefin an der Wand, die Wirtin Erna Thomsen, grossformatig in Öl und der echten Erna zum Verwechseln ähnlich. Denn Jürgens malt so akribisch und lebensecht wie weiland Albrecht Dürer oder Hans Holbein. 'Sachlicher Realismus' nennt sich dieser Stil. Im hektischen Kunstbetrieb des 21. Jahrhunderts wirkt er etwas anachronistisch. Doch Jürgens ist das schnurz. 'Kürzlich meinte jemand, ich sei trendresistent', erzählt er lachend und wiederholt geniesserisch das Wort: 'Trendresistent – stimmt genau.'

Denn Jürgens malt nicht nur so detailgetreu wie die alten Meister, er nimmt sich auch ebenso viel Zeit. Mit unendlicher Geduld trägt er Schicht um Schicht der (selbst gemischten) Farben auf. Bis zu zwölf Stunden täglich sitzt er mit Pinsel und Malstock vor der Leinwand, Monate vergehen, bis ein Bild fertig ist. So zu malen sei eigentlich 'eine Frechheit dem Leben gegenüber' sagt Jürgens mit fröhlicher Selbstironie. Doch seine Frau Barbara, eine Bauingenieurin, unterstützt ihn finanziell nach Kräften. Und so darf der Maler nur auf die eigene Stimme hören. 'Ich hoffe, nie in eine Situation zu kommen, um wegen des Marktes meinen Stil ändern zu müssen.' Auch mit seinem Konzept der Ein-Bild-Ausstellung fällt Jürgens aus dem Zeitgeist. Sein Gemälde der Kuh Soraia präsentierte er auf einer Alp in der Schweiz. Zur Enthüllung auf 1900 Metern kamen Kunstfreunde aus aller Welt, Alpbauern und das Modell selbst. Als Jürgens die Kuh mit ihrem lebensgrossen Portrait konfrontierte, trottete diese auf die Leinwand zu und gab ihrem eigenen Abbild einen herzhaften Kuss. Wer bei diesem berührenden Event dabei war, erzählt noch heute davon.

Wie anders wirkt Kunst dagegen in einer Galerie. Kürzlich sei er im Louvre in Paris gewesen, erzählt Jürgens und verzieht das Gesicht. 'Schrecklich! Man steht in der berühmtesten Gemäldesammlung der Welt und die Leute nehmen sich überhaupt keine Zeit. Sie hetzen da durch, lassen sich schnell neben der Mona Lisa fotografieren und schauen sie sich nicht einmal an'. Geradezu deprimierend sei das gewesen. Mit dieser Art von hektischem Kunstgenuss will er nichts zu tun haben.

Bei Jürgens´ Aktionen dagegen wird niemand mit Eindrücken überfrachtet. 'So viele entspannte Gesichter wie heute Abend habe ich noch nie vor einem Gemälde gesehen', sagt Jürgens und zeigt auf die fröhliche Menge im Silbersack. 'Die Leute nehmen sich Zeit zum Schauen, man redet mit einander, niemand ist im Stress, weil er meint, auch noch alle anderen Bilder sehen zu müssen.' Dass die 86-jährige Wirtin Erna Thomsen persönlich anwesend ist und man beim Bier mit dem Hamburger Original ins Gespraech über Kunst und Kneipengeschäft kommen kann, erhöht natuerlich den Charme des Abends. Denn Jürgens hat ein Auge für die unscheinbaren Helden des Alltags, und er malt stets nur Menschen, die ihm persoenlich etwas bedeuten. 'Fieslinge und Selbstüberschätzer' lasse er nicht auf seine Leinwand, sagt er, für die übrigen nimmt er sich jede Menge Zeit.

So geht es nie nur um Kunst bei seinen Ausstellungen, sondern immer auch um Begegnungen. Und weil Jürgens schon alle möglichen Typen gemalt hat – Grufties, Prostituierte, Schauspieler, Journalisten – und diese auch gerne immer wieder seinen Einladungen folgen, trifft man kaum irgendwo auf ein bunteres Publikum. Der Abend im Silbersack jedenfalls wird noch lang und hinterlässt bei vielen Gästen mehr Erinnerungen als so mancher Besuch in der Kunsthalle. Gut möglich, dass der trendresistente Maler damit einen neuen Trend setzt.


Mit freundlicher Genehmigung des Blessing Verlags | www.randomhouse.de


Salon Jürss Wismar

Zur Ausstellung
im Silbersack
auf St. Pauli