❯ Zwischen Verzweiflung und Aufbruch | Wismar | 5/2024 |
❯ Mein 1. Aufenthalt im Krankenhaus für Naturheilweisen | München | 5/2024 |
Das Leben ist wie eine Sinuskurve. Im Mai berichteten mir in München Patienten, dass sie zum zweiten oder dritten mal wegen LongCOVID im KfN seien. Andere Behandlungen wie Reha-Aufenthalte schlugen bei ihnen nicht an.
Bis zum Ende dieses Sommers war meine Welt für einige Monate glückerfüllt und völlig in Ordnung. Nun stellen sich seit Wochen die gleichen zermürbenden Symptome wie im Vorjahr ein. Klitzekleine Importviren knabbern an meinem Hirn und verhindern die Fertigstellung meiner aktuellen Bilder.
Bald bin ich erneut in München zur Reparatur. Vorfreude.
Meine Frau fährt mich mit dem Auto von Wismar nach München. 800 km in einem Ritt. Sie ist halt eine starke Braut und hat viel Geduld mit mir. Welch ein Glück. Zum zweiten mal weile ich 'dank' eines Long-COVID-Rückfalls im Münchener KfN. Schon in der Anmeldung begegnet mir erneut die gleiche Freundlichkeit wie im Mai diesen Jahres. Seltsam, man erkennt mich wieder.
Ein paar Flure weiter höre ich eine Schwester überrascht rufen 'Oh, unser Maler ist wieder da! Schön, daß sie uns besuchen!' 'Ja, ich habe Heimweh.'
Auf dem Zimmer erzählt mir eine weitere 'Wir alle haben ihre Geschichte gelesen und viel dabei gelacht. Wann gibt es die Fortsetzung?' 15 Uhr, der Gymnastiksaal wartet. Unterwegs werde ich freundlich angesprochen 'Herr Jürgens, nun sind sie wieder im Trainingslager. Ich sehe, sie haben abgenommen.' 'Ja', ich ganz stolz, 'Fasten nach Buchinger tut gut. Meine Frau hat auch unsere Ernährung umgestellt.' 'Gratuliere!'
Gemeinsam mit sechs Damen gönnen wir uns 30 Minuten Atemübungen. Durch den Youtube-Kanal des Therapeuten erscheint er mir heute irgendwie vertraut. Zuhause turne ich im Galeriekino gelegentlich nach dessen Videos. Gegen 16 Uhr genieße ich seine Fußmassage. Live.
Über die Kuhpostkarte an meiner Zimmertür staunt hier keiner mehr. Sie ist für mich erneut wichtig, da mir krankheitsbedingt unter anderem auch das Merken von Zahlen abhanden kam.
Der Abend neigt sich. Meine Füße sind begeistert von der ersten Ölung durch eine freundliche Krankenschwester. Zur Nacht tauchen sie sanft in ein Lavendelbad ein. Wie angenehm die alten Hufe duften.
Dass ich mich eines Tages auf einen Krankenhausbesuch freuen werde, hätte ich nie gedacht. Heute fühle ich mich wie ein defektes Auto, das auf platten Rädern in die Halle geschoben wird. Das Reparatur-Team jubelt 'Prima, diesen klapprigen Oldtimer kriegen wir wieder hin'. In der Werkstatt arbeiten erstaunlich viele gut ausgebildete Mechanikerinnen.
Zu Tagesbeginn wird erst einmal Motoröl abgelassen. Es sind fünf Ampullen fürs Labor. Als Starter dient ein Rosmarinfussbad. Eine der umwerfendsten Fußreflexzonenmassagen meines Lebens schließt sich an das Ruhe EKG an. Schwebend liege ich im Bett.
Auch die Wirbelsäulengymnastik mit Stiel ohne Besen hat für mich nicht nur hohen Unterhaltungswert, sondern verweht etwas vom Nebel in meinem Kopf.
Nach dem Mittagessen erfreut ein angenehm duftender Heusack meine Leber. Zwei Vorlesungen zu den Themen Naturheilweisen und Vollwerternährung schließen sich an. Zur zweiten sitzt meine Frau neben mir im Hörsaal.
Die Sonne scheint. Wir gehen im Park spazieren. In den zwei Folgetagen wird sie mich nicht besuchen, da sie beruflich um die Ecke, in Nürnberg, zu tun hat. Ein Wunsch auf den Weg: 'Bitte grüß den Meister von mir.'
Im Bett liegend höre ich ein Klopfen an der Tür und die fröhlichen Worte 'Guten Morgen, die Drogen sind da. Heute sind sie der Vampir, saugen sie die Flasche leer!' Es ist eine Vitamin-C-Infusion. 'Das trifft sich gut', so meine Antwort, 'ich bin nämlich ein echter Wisborger. Nosferatu, der erste Vampirfilm der Welt, wurde zu einem Drittel bei uns in Wisborg, also in Wismar, 1922 von Murnau gedreht. Bei uns gibt es sogar Nosferatu-Spiele.' 'Von Vampir-Festspielen haben wir in Bayern noch nichts gehört. Hier gibt’s nur Halloween.'
Ein weiterer Punkt steht nun auf meinem nachmittäglichen Plan. Also schlüpfe ich frisch gedopt in eine Art Baby-Strampler und schwanke vorfreudig zur Ganzkörper-Hyperthermie.
'Guten Tag, ich möchte hier zelten!' Wir erkennen lachend einander. 'Können sie wieder malen?' 'Sicherlich bald!' 'Steigen sie ein, machen sie es sich gemütlich.' Innerhalb von zwei Stunden komme ich gut verpackt schwitzend auf über 39 Grad Körpertemperatur.
'Wie geht es ihnen?', fragt zwischenzeitlich die sympatische Schwester am Fenster des Heckelzeltes. 'Wie neugeboren, bitte legen sie mich an die Brust meiner Mutter!'
Als frisch gewickeltes Paket schiebt mich eine weitere, irgendwie auch Vertraute, zum Abdampfen aufs Zimmer. Es gibt an diesem wundervollen Tag nur noch zwei Wünsche, die nach Erfüllung suchen: Duschen und tiefenentspannter Schlaf.
Was man sich manchmal so erträumt. Im Traum der letzten Nacht lag ich zeltend in der Hyperthermie. Die Hitze erreichte problemlos meine Hirnrinde. Den Viren, die dort im dritten Jahr Nerven vernichtend wüten, wurde schlecht. Alle fielen ohnmächtig in meinen vitalen Verdauungstrakt. So landeten sie am Morgen als lebloser Müll in der Kloake der Geschichte.
Nach dem Frühstück geht es, wie gewohnt, in den Gymnastiksaal. Körperwahrnehmungen lassen mich in den Tag schweben. Ebenso belebend wirkt die anschließende Fußeinreibung mit einem Zauberöl gegen Erschöpfung.
Selbst die Raumpflegerin fragt mich heute: 'Wie geht es Dir?' Täglich ergänzen wir einander unsere Lebensgeschichten.
Fix die kurze Hose und ein kurzärmliges Shirt übergestreift und schon sitze ich mit Beinen und Armen im CO2-Bad. Es lindert erfolgreich das verdammte Kribbeln in den alten Adern. Gern nehme ich Tipps für Zuhause mit.
Allmählich siedeln sich mehr begeisterte Männer in der Atemgruppe an. Ist das ein neuer Trend? Nach kurzer Pause folgt die nächste Fußreflexzonenmassage. Für das persönliche Gespräche mit der Therapeutin bin ich sehr dankbar. Alle geben sich unsagbar viel Mühe mit uns klapprigen Patienten.
Ganz nebenbei habe ich den Eindruck, nur von schönen Menschen umgeben zu sein.
Um 7:15 Uhr beginnt mein Tag recht frisch mit einem Kneippschen Guss. Nach derart kalten Wasserstrahlen auf die Hinterbeine freut sich der Körper über die Wirbelsäulengymnastik. Auch die Ölung meiner Füße hat etwas erhebendes.
Eine Schwester aus Sri Lanka steht mit erhobenem Zeigefinger in der Tür meines Zimmers und lächelt nur ein Wort in den Raum 'Heusack!' und schon eile ich mit meiner kleinen Decke zu ihr zum Einwickeln des warmen Leberwärmers. Zufrieden schlafe ich mit ihm ein.
Die Physiotherapie mit osteopathischen Techniken nimmt mir erstmals den verdammten Überdruck aus meinem Kopf. Chapeau!
Am Nachmittag sauge ich die zweite Vitamin C Infusion in mich hinein.
Auf zum Höhepunkt des Tages, auf zur Kunsttherapie. Statt der angemeldeten zehn erscheinen nur drei Teilnehmer. 'Aquarellieren sie etwas aktuelles, heute ist Nikolaus', so die Kunsttherapeutin. Also male ich einen Nikolaus, dem in der Nacht das Rentier weglief. Er steht recht orientierungslos mit einer Kerze in der Hand im Schnee. Auf einem zweiten Bild tümmelt sich bei sonnigem Wetter eine Familie im Schnee. Der Schneemann und seine Frau sind etwas übergewichtig. Was aus den drei neben ihnen stehenden kleinen Schneekindern wird, weiss man nicht. Die Sonne scheint. Nun schmücken die Aquarelle mein Zimmer.
Am Abend besucht mich eine sympatische Ärztin. Schon bei meinem ersten Aufenthalt hatten wir interessante Gespräche. Danke.
Die ersten Worte, die ich am heutigen Morgen vernehme, sind 'Oh, sie waren in der Kunsttherapie!' 'Ja, mein Malstil hat sich durch den Aufenthalt im KfN etwas verändert.' ❯ Bild 1 / ❯ Bild 2
Im Gymnastiksaal ging es heute um kreisende Koordinationsübungen für Arme und Beine. Wir sahen aus wie übermüdete Albatrosse beim Start. Fazit: Als Vogel würde ich ständig abstürzen. Auch die soeben frisch geölten Füße können daran nichts ändern.
Seit heute tausche ich mit der Frau aus Sri Lanka Heusack gegen Maler-Postkarte. Nonverbale Kommunikation kann so einfach und dennoch unterhaltsam sein.
Die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson schlägt bei mir leider nicht so recht an. Yoga Nidra ist mir vertrauter.
Erstmals in meinem Leben werde ich heute geschröpft. Runde Spezialgläser saugen sich durch Wärme erzeugten Unterdruck auf der Haut fest. Mit vier sanften Säuglingen auf dem Rücken weiten sich auch meine Kapillargefäße. Durchblutungsförderung und reflektorische Aktivierungen der Organfunktionen sind das Ziel.
Glückes Geschick, Tirili! Meine Frau besucht mich. Fast Nebensächlich lädt sie Apfelsinen, Mandeln und Studentenfutter ab. Danke. Morgen möchte sie zu Verdi ins Nationaltheater gehen. Aida sahen wir erstmals in der Arena di Verona.
Ein Nerven- und Schlaftee schickt mich träumend ins Bett.
Noch im Halbschlaf überlege ich, welche Schritte im Flur akustisch zu wem vom Personal gehören. Heute stimmt meine Vermutung. 'Klopf, Klopf, gute Morgen, gute Appetit, schöne Sonntag.' Die ersten wahrgenommenen leuchtenden Augen dieses Tages sind die der Sri Lankerin.
Blutdruck, Puls und Teperatur werden gemessen. Alles ist im grünen Bereich. Nur mein Hirn ist lose.
10:15 Uhr: Achtsame Bewegungen stehen auf dem Reparaturzettel. Von diesen Koordinationsübungen werde ich so einige mit in den Norden nehmen.
An der Heublumensäckchenausgabe, diese zauberhafte Wortschöpfung steht tatsächlich auf dem kleinen Schild im Flur nebenan, winke ich mit einer Huhn-Postkarte und ...
Die Leber freut sich täglich. Wenig später sind die Füße frisch geölt. Beide sich begeistert von der Wärme. Es ist Sonntag. Zufriedener Mittagsschlaf führt mich zurück in Tage unbekümmerter Kindheit.
Den Rest dieses ruhigen Tages verbringe ich mit Christian Redls Buch 'Das Leben hat kein Geländer'.
Unter der Dusche beginnt mein Tag. Heute wird man mich bereits um 8:30 Uhr im Heckel-Zelt köcheln. Zuvor klopft es. In mein Zimmer tritt eine junge Therapeutin mit vietnamesischen Wurzeln. Bei ihr hatten wir in der vergangenen Woche Atem- und Bewegungsübungen. Auch sie kennt meine Füße. Während der Reflexzonenmassage und danach hatten wir sehr interessante Gespräche. Zum Abschied schenkte ich ihr mein Buch. Heute steht sie mit einer Flasche Rotwein, einen Giovito aus der Toscana, in der Tür. 'Sie sollen wissen, dass ich mich so sehr über die positive Energie und das lebensbejahende in ihrer Malerei freue.'
Sprachlos glücklich eile ich zur Hyperthermie in die Physikalische Abteilung. Die lindernde Wirkung ist umwerfend. Gern wäre ich eine dritte Stunde im Hitzezelt liegen geblieben. Tiefschlaf schließt sich in meinem Zimmer an.
Kaum erwacht überrascht mich intravenös eine 3. Vitamin C-Gabe.
Welch freudiger Tag. Meine Frau kommt zu Besuch. Am Mittwoch schmuggle ich sie wieder mit in die KfN-Vorlesung.
Bereits im Erwachen fühle ich mich spürbar vitaler und weiß garnicht wohin mit meinem Glück. Die Hyperthermie schlägt positiv an. Mein Erinnerungsvermögen erholt sich allmählich. Ein Blick vom Balkon. Es hat geschneit. Im Park baut eine schlanke Gestalt den ersten, wenn auch recht kleinen Schneemann und setzt ihn auf eine Bank.
Nach der Wirbelsäulengymnastik wird mir das Langzeit-EKG angelegt. Etwas später finden sich meine Arme und Beine erneut im CO2-Bad wieder. Der Heusack befördert mich in den Mittagsschlaf. Fast komme ich zu spät zum Damenturnverein namens Atemgruppe.
Gefühlt folgt nun der Höhepunkt meines Aufenthaltes, auf den ich mich echt freue. Es ist die Fußrefexzonenmassage bei jener Charmanten, deren Yoga Nidra mir kurz vor meinem KfN-Aufenthalt bei Durchblutungsstörungen im Gesicht half.
Meiner neuen Nachbarin im Nebenzimmer gefällt die Kuh-Postkarte an meiner Tür. 'Da ich mir krankheitsbedingt keine Zahlen merken kann, klemmte ich mir die Karte an die Tür.' 'Ja', so sie, 'das habe ich auch, es ist schwer ohne Zahlengedächtnis zurück zu finden'. Also schenke ich ihr eine Eichhörnchen-Postkarte. Zu meiner Freude ziert diese nun der Nachbarin Tür.
Kofferpacken und Nachtruhe folgen.
Das letztes Münchener Rosmarin-Fußbad bereitet mich auf die Abschlussgruppe vor. Ein beeindruckender Vortrag über Naturheilweisen und ein leckeres Mittagessen runden meinen Aufenthalt ab. Bis zum nächsten mal. DANKE für die gelungene Reparatur!
800 km Autofahrt in Richtung Norden führen uns zu einem Glühweinstand auf dem Wismarer Weihnachtsmarkt.
Text © MWJ · 12/2024
❯ Zwischen Verzweiflung und Aufbruch | Wismar | 5/2024 |
❯ Mein 1. Aufenthalt im Krankenhaus für Naturheilweisen | München | 5/2024 |