Huhn aus Ahnebergen


Lasur- und Mischtechnik auf Holz, 41 x 24 cm, 2003
Von einem niedersächsischen Huhn und einem Kunstfreund in Mecklenburg


Ein befreundeter Sammler bat mich 2007 um ein paar schriftliche Worte zu einem Bild, das er von mir erworben hatte. Am Telefon hörte ich ihn sagen: 'Meine Tochter mag das überlebensgroße Portrait von deinem Huhn aus Ahnebergen.' So entstand meine erste Bildgeschichte.

Als ich 2005 in der Gallery Holly Snapp in Venedig ausstellte, wünschte sich ❯ Lucy Mae, Realistische Malerei heute, Neuer Realismus, Manfred W. Jürgens, Maler Malerei, Kunst Künstler, Wismardie Tochter der Galeristin, dass ihre Mutter ihr mein Hühnerbildnis kauft. Aber diese sagte: Geh zu deinem Vater, der ist auch Maler, er möge dir ein Huhn malen. Aber dieser malte in seinem Palazzo auf der venezianischen Giudecca lieber schöne Studentinnen.

Kürzlich las ich im Brockhaus Conversations-Lexikon aus dem Jahr 1884 Folgendes: In der Landwirtschaft gab es eine Zeit, wo das Federvieh als notwendiges Übel betrachtet wurde. 'Willst Du verderben und weißt nicht wie, so halte recht viel Federvieh!', lautet ein alter Bauernspruch.
Hühnervögel leben meist an der Erde, fliegen schwer mit rauschendem Flügelschlage, nähren sich von allem, was an und im Boden zu finden ist wie Samen, Insekten, Würmer, Knospen etc., machen ein kunstloses, offenes Nest am Boden, in dem sie viele Eier bebrüten, und leben meist in Vielweiberei. Das Männchen ist in diesem Falle weit größer und schöner gefärbt als das Weibchen.

Portraits von Hühnermännern, also von Hähnen, sollten erst in den Folgejahren in Städten wie ❯ HamburgRealistische Malerei heute, Neuer Realismus, Manfred W. Jürgens, Maler Malerei, Kunst Künstler, Wismar und ❯ Bremen Realistische Malerei heute, Neuer Realismus, Manfred W. Jürgens, Maler Malerei, Kunst Künstler, Wismarentstehen.

Erinnerungen. Im mecklenburgischen Schönhof, dem Dorf meiner Kindheit, gab es ein seltsames Spiel namens Hühnerfangen. In den Sommerferien luden wir kleinen Dorfjungs uns gegenseitig auf unsere Höfe zu diesem recht zeitaufwändigen Unterfangen ein. Oft kamen zwei oder drei mit ihren Weidenkörben dazu. Zuerst galt es, die Stock- und Bandlängen anzugleichen. Die Weidenkörbe wurden nebeneinander im gleichen Abstand auf den Kopf gestellt. Unter jeweils eine Seite stellten wir einen Stock, an dem ein Band befestigt war. Unter die angeschrägten Körbe streuten wir Getreide und warteten versteckt stundenlang auf die hungrigen Hühner. Es wurde eine Strichliste geführt. Wenn eines unterm Korb pickte - zack - zog man am Band, das Huhn war gefangen und ein weiterer Strich zierte die Liste. Punkte galten als Achtungserfolge. Das aufgescheuchte Huhn wurde umgehend frei gelassen und wir warteten auf das nächste.
Selten hatte ich die meisten Punkte, da ich, das Warten überbrückend, lieber die Hühner zeichnete. Ich liebte dieses Spiel.

Da ich einst in Berlin Wissenschaftsgrafik studierte und auch nach dem Studium für den Zoologen ❯ Prof. Dr. Dr. Heinrich Dathe Realistische Malerei heute, Neuer Realismus, Manfred W. Jürgens, Maler Malerei, Kunst Künstler, Wismartätig war, ist mir der zoologische Blick aufs Vieh nie so recht abhanden gekommen. Jedoch vermischt er sich zunehmend mit meiner Haltung als Porträtmaler.

Als ❯ SchwiegerelternRealistische Malerei heute, Neuer Realismus, Manfred W. Jürgens, Maler Malerei, Kunst Künstler, Wismar noch lebten, fuhren meine Frau und ich gern zu ihnen ins niedersächsische Dorf namens Ahnebergen. Natürlich wohnten dort auch Hühner. Eines fand ich besonders schön, also unbedingt malenswert. Da ich nur noch selten zeichne, fing ich an zu fotografieren. Am ersten Tag waren es nur zwei Stunden.

Hühner sind bekanntlich nicht sehr hoch. Um von ihnen gute Portraits zu bekommen, empfahl es sich, das Teleobjektiv im Anschlag und auf dem Bauch kriechend, ihnen im Abstand von 30 bis 40 cm in deren Kopfhöhe über den Hühnerhof zu folgen. Irgendwie erinnerte mich diese Situation an meine Armeezeit.

Hühner, welch seltsame Geister. Sie sind ständig am Picken und laufen unruhig durch ihr Geflügelleben, wackeln permanent mit dem Kopf. Da ist nichts mit in Ruhe Modellsitzen für den Maler, kein sorgfältig inszeniertes Licht mit Scheinwerfern. Ja, ich hätte ganz allgemein ein Huhn malen können, aber ich meinte dieses konkrete in seiner eigenständigen Schönheit.

Die ersten scharfen Fotos erhielt ich am zweiten Tag, nach etwa vier weiteren Stunden auf Hühneraugenhöhe mit dem neugierigsten Huhn des Dorfes. Am dritten Tag hatte ich den Eindruck, dass wir uns schon ewig kannten. Ähnlich reagierte das Huhn. Der Hahn erteilte mir weiterhin Platzverweise. Vielleicht war er eifersüchtig. Zu einem Hahn gehören durchschnittlich 10 bis 20 Hühner. Ich sagte ihm, dass mir sein Leben zu anstrengend wäre. Warum seine Bräute Italiener genannt werden, ist mir bis heute unklar. Ihre großartige Legeleistung ermöglichte bereits im 6. Jahrhundet orthodoxen Mönchen die Temperamalerei. Auch ich benutze in meiner heutigen Maltechnik Eitempera. Huhn sei Dank für eines der langlebigsten Bindemittel der Malereigeschichte.

Zurück nach Ahnebergen. Schwiegervater fragte seine Tochter an meinem vierten Fototag mit Blick auf den Hühnerhof 'Watt schall datt da bloss?'. 'Papa, Manfred will doch das Huhn malen!' Er schüttelte nur mit dem Kopf. Vermutlich machte er sich Sorgen um den Geisteszustand seines Schwiegersohnes.

Als ich das gemalte Porträt meines Ahneberger Huhns ein Jahr später zeigte, hörte ich 'Das haben wir gegessen'.

Mein Sammler-Freund erzählte mir später, dass er diese Geschichte seiner kleinen Tochter in der Küche vor dem dort hängenden Bild vorgelesen hätte. Sie hörte sehr interessiert zu, war jedoch wegen des letzten Satzes recht traurig. Lotti mag es nicht, wenn Tiere sterben.

© MWJ, Wismar, 18.11.2020

❯ Detail Manfred W. Juergens, Wismar Gallery

❯ Ahnebergen | Fotografien 2008-14

❯ Diese Bildgeschichte als Hörstück