Warum malt er nicht mehr ?


Corona und LongCOVID
Zwischen Verzweiflung und Aufbruch

MWJ, Fotografie MWJ, Fotografie

Wie ein kleines verstört bockiges Kind sitze ich in einer Kabine der Sport-Abteilung bei Karstadt in Wismar. Selbst das Klicken metallischer Kleiderbügel auf eiserne Wandhaken in den angrenzenden Kabinen bewirkt in mir spontane Schmerzen, die vom Hirn aus durch den gesamten Körper zucken. Meine Nerven liegen blank. Die zunehmende Geräuschempfindlichkeit zerfrisst mein Nervenkostüm. LongCOVID hat mich fest im Griff.

Dank des Tipps einer Dresdener Freundin werde ich bald im Süden in einem Krankenhaus für Naturheilwesen knapp zwei Wochen zu Gast sein. Der Münchener Wunschliste folgend kleidet mich meine Frau sportlich neu ein. Der Kabinenspiegel feiert: Hah, mit diesem Outfit fährst du morgen ins Trainingslager des FC Bayern.

Rückblick

Vor mehr als 17 Monaten wollte ich mir die vierte Corona-Impfung beim Hausarzt abholen. Dieser meinte, dass ich recht fad aussähe und empfahl einen Test. Er wollte nicht auf eine vermutete Infektion impfen. Ich ging nach Hause, schloss im Gästezimmer das Fenster und fiel nach hinten in Ohnmacht. Meine Frau, dachte, dass ich wie gewohnt im Atelier male und fand mich fünf Stunden später mit extremen Lähmungserscheinungen bleich auf dem Gästebett vor. Es folgten die extremsten Schmerzen meines Lebens. Die nächsten Tage waren die Corona-Hölle. So nah war ich dem Sensenmann bisher nicht begegnet.

Wochen später begannen Gedächtnisstörungen. Anfänglich glaubte mein soziales Umfeld, dass ich scherze. Ganze Jahrzehnte fehlten plötzlich in meiner Erinnerung. Das Schreiben von bestimmten Buchstaben des Alphabets war mir nicht mehr möglich. Großteile des Wissens über Malerei, Fotografie, Musik, Geschichte, Film und Theater waren völlig verschwunden. Es ist ein fürchterliches Gefühl, wenn einem der Verstand abhanden kommt.

Ein unerwartetes Nebengeräusch im Gespräch reichte aus, so dass alles zuvor Gesagte gelöscht war und ich kurz vor dem Nervenzusammenbruch stand.

Es folgten Konzentrationsschwächen und anhaltende Schwindelgefühle. Seitdem bin ich permanent an meiner nervlichen Grenze, immer kurz vor dem Umkippen. Ich traue mich nicht Fahrrad zu fahren, gehe nicht mehr allein in die Stadt, da ich befürchte, vor ein fahrendes Auto zu fallen. Namen und Gesichter von Freunden entfallen mir weiterhin. Das ist echt bitter.

Im vergangenem Jahr schaffte ich es nur, ein einziges Bild zu malen. Es ist das Bildnis unser 13-jährigen Nachbarin Lina, die ich sehr schätze. Beim Modellsitzen für das Portrait erzählte ich ihr an der Staffelei, dass ich in letzter Zeit ein weißes undurchblutetes Dreieck um den Mund im Spiegel sehe und beim Berühren des Kopfes oftmals nichts mehr spüre. Oh, das muss ich Papi erzählen, der ist doch Arzt. Dieser empfahl Blutverdünner und schon war zumindest dieses Problem verschwunden. Die restlichen halten in unterschiedlichen Variationen ohne erkennbare Ursachen an.

Der Hausarzt meinte 'LongCOVID, das kann zwei, drei Jahre andauern und die Wissenschaft benötigt ein Jahrzehnt Vorlauf für geeignete Heilungsmethoden. Finden Sie sich damit ab!‘ 'Ja prima, ich bin Maler und arbeitsunfähig, verstehen Sie, arbeitsunfähig!' 'Aber Sie sind doch Rentner’, war seine Antwort.

Am Wismarer Krankenhaus konnten nach mehreren Aufenthalten und recht breitgefächerten Untersuchungen keine organischen Schädigungen festgestellt werden.

Nun gehen wir eigene Wege, haben viel ausprobiert. In Schwerin besuche ich seit kurzem eine Kältezelle. Es ist wie auf dem Raumschiff Enterprise. Als hätte Jean-Luc Picard eine Telefonzelle umfunktioniert. Dort herrschen -85°C. Fünf Minuten verbringe ich zweimal wöchentlich dort in Unterwäsche tanzend mit Fusselpuschen, Handschuhen und Kopfhörer auf den Ohren. Zum Glück sieht mich außer meiner Frau, die das auch mitmacht, keiner. Aber es hilft und mein Kopf ist für wenige Stunden etwas klarer. Ein selten gewordenes Gefühl.

Wir waren auch auf Poel. Eine 92-jährige Dame mit erstaunlich jungem und sehr wachem Blick versuchte mir besprechend zu helfen. Es wäre großartig, wenn ich nach so vielen Monaten endlich wieder malen könnte. Ja, ich sehne mich nach meiner Vor-Corona-Vitalität zurück.

Das ewige Kribbeln auf dem Kopf ist unerträglich. Seit acht Wochen fallen mir die Haare aus. Jede Woche fehlt ein weiterer halber Zentimeter auf der Stirn. Ohne meinen Galgenhumor hätte ich mich längst schon genussvoll erschossen.

Vor Galeriebesuchern versuche ich meine Erkrankung weitgehend zu vertuschen. Ich bin es leid zu jammern. Alle zwei Stunden muss ich schlafen, um den Tag zu überstehen. Der einst so angenehm agile Geist in mir ist erloschen und antriebslos. Mir fehlt die Kraft fürs Alltägliche. Seit einem Dreivierteljahr war ich nicht mehr an der Staffelei.

Im Kalender steht 1. Mai. Die Schulmedizin weiß nicht weiter. Nun geht es für zwei Wochen ins Krankenhaus nach München. Also mache ich alles mit, um wieder der zu werden, der ich vor Corona war. Ich möchte endlich wieder ins Atelier und arbeiten.

Am Tag vor der Abreise schenkt mir Nachbarin Nicole ein gerahmtes Foto von unserer letzten Silvesterparty mit Freunden im Atelier. 'Damit du weißt, für wen du dich reparieren läßt.'' Welch ein Glück, dass Bärbel alles vorbereitet hat und mich nach München begleitet. Allein hätte ich es in meinen Zustand nie geschafft. Akustisch war die Zugfahrt trotz Außenschall löschender Kopfhörer fürchterlich. Auch für Bärbel ist es nicht leicht geworden.

Tag 1

Ein griechischer Taxifahrer bringt uns in die Klinik mit den Worten 'An diesem Ort war ich noch nie, hoffentlich finde ich aus diesem Labyrinth wieder raus!'

Anmeldung im Krankenhaus. Selten begegneten mir so viele angenehme Menschen wie am heutigen Tag. Ich bin begeistert, wenn die Leute ihren Job lieben und leben.

Da ich mir die Zimmernummer nicht merken kann, klemme ich die Postkarte der gemalten Kuh Soraia an meine Krankenzimmertür. Beim Aufnahmegespräch fragt die Ärztin: 'Hoffentlich ist es nicht vermessen Sie zu fragen, ob Sie in der Kunstgruppe mitmachen möchten'. Meine Antwort: ‘Gern, wie viele Kursteilnehmer habe ich?‘

Kneipp lässt grüßen. Ein kleiner duftender Heusack auf der Haut wärmt für 20 Minuten meine Leber. Später liege ich eine Viertelstunde im ovalen Kreis in einer Entspannungsgruppe von 15 Frauen auf einer Matte und folge mit geschlossenen Augen der Geschichte eines Therapeuten. Wir fliegen gedanklich mit einem Ballon über Traumlandschaften, beobachten Tiere und Menschen, Berge und Flüsse im Abendlicht. Ein kurzes Schnarchen. Die Dame neben mir schläft.

15 Uhr Fußmassage, großartig, besser als einst in Asien. Das abendliche Fußbad erinnert mich an meine Großeltern.

Tag 2

Ruhig und gelassen beginnt der Tag. Nach einem dampfenden Rosmarin-Fußbad gehe ich entspannt in den Tag. Ein sparsames Frühstück und eine Schachtel mit Pillen warten auf mich. Geduld. Zuvor wird Blut abgezapft. Eine Vitamin C-Infusion schließt sich an. Nebenbei darf ich essen, denn die Hyperthermie-Beratung und ein Ruhe-EKG warten bereits auf mich.

Zwei Stunden später wird das Langzeit-EKG angelegt. Am Nachmittag die Atemgruppe, diesmal mit den Damen vom Vortag und drei weiteren alten Männern. ’Hände hoch, den Kopf schräg, ja, sehr gut machen sie das, etwas schräger, ja, prima!’ Ein- und Ausatmen in 20 Versionen. Applaus. Wenn Loriot mich hier sehen würde.

Mein erstes CO2-Bad empfinde ich als angenehm. Es lindert das Kribbeln in den Adern. Das Schwindelgefühl hält dagegen weiterhin konstant an.

Bärbel besucht mich. Sie ist der wichtigste Mensch in meinem Leben. Wir gehen im wunderschönen angrenzenden Park spazieren. Kleinstadtparkanlagen sind leiser. Im Park unterhalten sich Krähen und erinnern mich an mein unvollendetes Bild in Wismar.

Rosmarin lässt meine Füße erneut in den Abend duften. Die Kuh-Postkarte an meiner Tür führt zu unterhaltsamen Gesprächen mit dem Krankenhauspersonal. Soraia sei Dank.

Tag 3

Die Nacht war erholsam. Im Traum hatte ich meine Krankheit bereits überwunden.

Am heutigen Morgen sah der Frühstücksteller erneut sparsam aus. Ich saß vor dem kleinsten Brötchen meines Lebens. Selbst benachbarte dünne Patienten werden am Morgen kurz gehalten.

Die Sonne scheint, aber es wird noch wärmer, denn heute wollen sie mich abkochen. Sie nennen es Ganzkörperhyperthermie. Ohne zu wissen was da auf mich zu kommt, genieße ich zur Mittagszeit den leckeren Gemüseeintopf.

'Ziehen Sie sich bitte für die Hyperthermie um!' Neu eingekleidet wackel ich los. Auf dem Flur kommt mir eine Schwester aus Sri Lanka entgegen. Von ihr erhalte ich täglich den Heusack. 'Heute werde ich gekocht!' 'Ja,' sagt sie, 'gleich sitzen Sie in eine große Topf. Nach einer Stunde garen komme ich mit Messer und Gabel dazu. Auch Pfeffer und Salz bringe ich für meine Kollege mit.'

Eine sympathische Schwester umschreibt mir am Zelt den Weg zur Erhöhung meiner Körpertemperatur auf 39 °C. 'Kennen Sie das?' 'Nein, bisher gab es für mich in Schwerin nur Cryo tanzend bei -85 °C.'' 'Fühlen Sie sich wohl?' 'Sehr, ich werde gleich schlafen.' Die extreme Hitze erinnert mich an Fieberträume meiner Kindheit. Der Sensenmann wartet im eiskalten Winter einsam an der Wartehalle unseres kleinen Dorfes. Zähneklappernd steht er im Schneegestöber und stützt sich krumm auf seine rostige Sense. Er wartet seit ewigen Zeiten auf den Bus. Aber der Schulbus mit uns Kindern kommt nie. Meister Sense steht falsch, weiß nichts von der weit entfernten neuen Wartehalle.

Nach mehr als zwei schwitzenden Stunden werde ich zum Halten der Körpertemperatur in Folie eingeschlagen. Später dampfe ich im Krankenzimmer ab.

Bärbel fährt ins Hotelzimmer und ich schlafe 12 Stunden entspannt durch.

Tag 4

Das Frühstück war wie immer ausreichend. Nun genieße ich die Fußmassage. Damit hatte ich heute nicht gerechnet. Meine frischgeölten Hufe liegen glücklich zugedeckt auf einer wärmenden Matte. Entspannung vom Feinsten. Bärbel lauscht sich Behandlungstricks ab und verabschiedet sich für drei Tage.

Nun ruft der Gymnastiksaal. Zu 11 Uhr steht auf meinem Plan: Achtsame Bewegung - Balance at work. Dort angekommen denke ich, 'Oh ha, Verursacher-Sound'. Die QiGong Lehrerin lässt leise chinesische Musik laufen. Gekonnt und geduldig führt sie uns in die Atemtechniken ein. Nach einer intensiven halben Stunde schwebe ich, von QiGong beseelt, wie eine glückliche Graugans am blauen Himmel über den Himalaya zurück auf mein Zimmer. Welch großartige Erfahrung.

Der Duft von Heu weht über den Flur. Minuten später liegt ein Heusack gewohnt wärmend auf meiner Leber.

Im architektonisch reizvollen Hörsaal geht es am Nachmittag weiter. Alles dreht sich um den gesunden Schlaf und um Methoden, die uns dort hinführen können. Ernährung und Bewegung, Hydro-/Thermotherapie, Phyto- und ebenso hilfreich die Ordnungstherapie.

Die Dozentin befragt uns Patienten nach unseren Problemen und Methoden beim Einschlafen. Fast hätte ich es erzählt, dass ich in unterschiedlichsten Situationen problemlos innerhalb von 30 Sekunden einschlafen kann. Da es oft als nicht glaubhaft vernommen wird, verzichtete ich.

Ja, mei! A guats Nächtle!

Tag 5

Das Balkonfenster ist geöffnet. Amseln zwitschern sich fröhlich in den Tag. Es sind die gleichen Melodien wie in Wismar. Gelegentlich durchstreift das Röhren eines ICE die Arien. Auch der Rettungshubschrauber gehört zur täglichen Geräuschkulisse.

Auf meinem Dienstplan steht Physiotherapie. Zuvor, zu meiner Überraschung, eine erneute Infusion mit Vitamin C-Saft.

In der Physikalischen Abteilung schenkte man mir eine großartige osteopathische Kopfmassage.

Dann Wirbelsäulengymnastik und Qigong - Die 8 Brokate mit dem beliebtesten Masseur Münchens. Es wäre mir nicht einmal im Traum in den Sinn gekommen, daran jemals Faszination zu empfinden. Aber das hier war überzeugend.

In der nachmittäglichen Entspannungsgruppe liest uns Liegenden ein Therapeut die Fantasiereise 'Vulkan der Kraft und Intuition' vor. Heute schlafe ich als erster ein.

Fazit der anschließenden Visite: Wir versuchen es mit homöopathischen Mitteln! Kurz darauf kommt eine Schwester mit einem Mini-Becher, in dem fünf winzig kleine Kügelchen auf mich lauern. Ich zeige mich schmunzelnd verwundert 'Oh, eine Sparmaßnahme der Krankenkasse?'

Nach der Fußmassage schleiche ich auf heißen Sohlen zur Kunsttherapie. Kneten mit Lehm steht auf dem Plan.

Die Kursleiterin empfiehlt uns alles Negative in einer lehmigen Kugel unterzubringen, sie dann laut auf den Tisch zu werfen und zu zerstören, um daraus etwas Neues zu formen.

Ich halte mir fest die Ohren zu, um nicht zu kollabieren. Kurzzeitig dachte ich, gehen zu müssen.

Aber dann wurde es leiser und ich konnte meinen kleinen Lehm-Tierpark mit dem dünnen Direktor, der Blume, den ballspielenden Kindern und dem dicken Saurier zu Ende formen. Meine Kugel fand in seinem Bauch Platz.

Tag 6

Am gestrigen Abend verabschiedete sich die Nachtschwester mit den Worten 'Gute Nacht Herr Jürgens, träumen Sie von einer Wiese, auf der Sie Ihre nächste Kuh malen!'

Wenig später im Traum fand ich mich tatsächlich malend auf einer Wiese wieder. Eine Kuh namens Brunhilde saß mir im hohen Gras Modell. Sie schielte kurz auf mein entstehendes Bild und muhte: 'Du, Maler, so geht das nicht! Räum erst einmal in Dir auf, dann komme ich wieder.'

Das erzählte ich am Morgen der Masseurin bei der Reflexzonentherapie. Sie lachte herzhaft 'Großartig, hören Sie auf die Kuh in Ihnen!'

10:15 Uhr ist die richtige Zeit, um Körperwahrnehmung im Gymnastiksaal zu trainieren.

Unfassbar, wie großartig die Vorlesungen im KfN-Hörsaal sind. Heute ging es um Vollwerternährung. Hier gehen echt Türen auf.

In der nachmittäglichen Entspannungsgruppe war ich erneut der erste der einschlief. Viele der anderen Patienten haben extreme Schafstörungen und glauben nicht, dass man in 30 Sekunden einschlafen kann. Bei der leicht dunklen Stimme der jungen Therapeutin ging das fix. 'Atmen Sie tief durch die Nase ein und sanft durch dem Mund aus, spüren sie den linken Arm, den keinen Finger, das linke Ohr ... zack und ich lag im Tiefschlaf. Die Anderen turnten fleißig weiter.

Tag 7

Eine halbe Stunde vor dem Frühstück widme ich mich den winzigen homöopathischen Pillen. Auf der kleinen Verpackung steht 'Belladonna'. Mamma mia, wo ist die hübsche Frau. Von augenärztlichen Behandlungen kenne ich sie als Tropfen, gewonnen aus der Tollkirsche. Hildegard von Bingen meinte, es sei Teufelszeug. Etwas später, in der Renaissance, träufelten sich die Italienerinnen den Saft in ihre Augen, um möglichst feurig und verlockend beim Rendezvous zu erscheinen. Die Mädels waren dadurch vorübergehend weitsichtig. Aber was soll die Tollkirsche in mir bewirken?

Themenwechsel.
Meine Frau hat heute Geburtstag. Was schenkt ein im Krankenhaus kasernierter Mann seiner Liebsten? Ausgehen fällt definitiv aus. Spätestens nach einer Stunde würden mich die Pfleger im Hofbräuhaus wieder einfangen. Die Blumenrabatte plündern könnte ebenso ärgerlich werden. Also lade ich Bärbel zu mir ins Krankenhaus ein.
'Im Hörsaal läuft ein ärztlicher Vortrag zum Thema Naturheilweisen. Laß uns gemeinsam hingehen!' Und siehe da: Braut Bärbel ist völlig begeistert. Die KfN-Veranstaltung war wieder hochkarätig und am kommenden Freitag sitzen wir erneut in der nächsten Lesung. Vorfreude.

Mein Geburtstagskind verabschiedet sich mit den Worten: 'Ich fahr jetzt zu Herrn Dürer in die Alte Pinakothek'. 'Gern wäre ich auch dabei', so ich. 'Bitte grüß den Meister von mir, sag ihm, ich sei wegen Atem- und Dehnungsübungen im Gymnastiksaal verhindert.
Ein paar Treppen führen mich anschließend in die untere Etage zur Carotis-Doppler-Sonographie. Diese fiel für mich positiv aus. Die Blutgefäße sind in Ordnung.

Zum Tagesende noch einen Nerven- und Beruhigungstee, dann tausche ich die Kuhpostkarte außen an meiner Zimmertür durch die eines Huhnes aus.

Tag 8

Kürzlich erlernte Atemübungen helfen mir den ewigen Schwindel bereits im Liegen etwas zu lindern. Ein neuer Tag wartet. Es klopft. Die Raumpflegerin betritt das Zimmer: 'Guten Morgen! Wo ist denn die Kuh hin? Sie war viel schöner als das alte Huhn.' Sofort wechsle ich die Postkarte an der Tür. Die Pflegerin amüsiert sich köstlich. 'Darf ich auch Ihnen eine Kuh schenken?' 'Gern. Oh, wie schön sie ist!''

Von der letzten Lesung summt mir noch ein Satz im Kopf, 'Suche nicht nach dem Sinn des Lebens, suche den Sinn im Leben!' In diesem Sinne. Guten Tag, Du Tag.

Mein Weibchen besucht mich. Raus hier. Wir spazieren unter sonnendurchfluteten Bäumen und freuen uns des gemeinsamen Seins.

Gleich geht es zur zweiten Ganzkörperhyperthermie. Ich freue mich auf die Anwendung. Frisch im Heckelzelt eingepackt beginnt die Infrarottherapie. Sie erhöht innerhalb von zwei Stunden sanft meine Körpertemperatur und simuliert eine virentötende Grippe. Heute schaffe ich es mit meiner Temperatur nur auf 38,6 °C.

'Ich komme mir vor wie ein Frühchen im Brutkasten.' 'Genauso sehen Sie auch aus', entgegnet die Schwester. Noch 30 Minuten, dann ein Telefonat in die dritte Etage: 'Ihr könnt Euch Euren Jürgens wieder abholen.'

Nach einer Stunde Abdampfen geht es unter die Dusche. Vor dem Abendbrot noch ein Spaziergang. Immer wieder trifft man ähnlich erkrankte Menschen mit vergleichbaren Symptomen und tauscht sich aus. Keiner fühlt sich hier im Stich gelassen.

Tag 9

Von einer freundlichen Stimme vernehme ich ein 'Klopf, Klopf!' 'Das sagen wir zuhause auch immer', antworte ich. Die Schwester lacht 'Das gesprochene Klopf, Klopf ist gut, es schont die schönen Hände'. Sie stellt das Frühstückstablett ab, dreht vor meinen Augen galant ihre Rechte und wünscht freudig einen sonnigen Tag.

Im hellen Bademantel double ich heute Udo Jürgens. Mein Dienstplan führt mich zum belebenden Wechselguss in die Physikalische Abtei(lung).

Bärbel kommt mich wieder besuchen. Klasse, dass sie erneut als Gasthörer dabei sein möchte. Heute geht es im Hörsaal um Ausleitungstherapien. Wir erleben eine engagierte Lesung und reisen durch die Medizingeschichte, vom Aderlass bis zur heutigen Hyperthermie. Und genau die bringt mich, kombiniert mit anderen Anwendungen, ganz allmählich zurück zu meiner einstigen Agilität. Ich könnte vor Freude heulen. Nebenbei: Mein Tinnitus ist erstmals seit Jahrzehnten verschwunden.

Meine Braut fährt ins Müller’sche Volksbad und ich gehe zu meiner Krabbelgruppe in den Gymnastiksaal. Ja, ich bin der einzige Mann in der Runde und frage, 'Wo sind denn die anderen alten Knacker?' Alle lachen. Die Einrichtung wird vorrangig von Frauen besucht. Klangschalen begleiten unseren Atem. Der Vagusnerv ist heute Thema. Nach einer halben Stunde summen wir wie Hummeln zurück auf die Zimmer.

Allein spaziere ich durch den von Sonnenstrahlen durchfluteten Park. Auf dem Rückweg begegnet mir vor dem Eingangsportal eine meiner Lieblingstherapeutinnen, jene Dame mit den umwerfenden Fußreflexzonenmassagen. Auch von ihr konnte ich viel lernen und ich möchte dieses Wissen mitnehmen. Es freut mich, dass sich zum Schluss die Gelegenheit bot, mich bei ihr zu bedanken.

Tag 10

Ein Freund, der diesen Text las, schrieb mir: 'Die Kuh kommt bald zurück!' In diesem Sinne nehme ich ein heißes Fußbad und starte fröhlich in den Tag. Die Morgen-Schwester bringt mir die Henkersmahlzeit mit den Worten 'Heute ist Ihr letzter Tag!'

Auf zur Wirbelsäulengymnastik. Alle liegen entspannt auf ihren Matten. Der Therapeut empfiehlt: 'Wir gehen auf allen Vieren.' Ich flüstere 'So laufen wir nun nach Hause' und kann mir das Kläffen eines alten Köters nicht verkneifen. Einige knicken vor Lachen ein.

An einer Wand lese ich 'Wir behandeln keine Krankheiten, wir behandeln Menschen'. Nach der Gymnastik bittet man uns, in der Abschlussgruppe alles aufzuschreiben, was wir in unsere Zukunft mitnehmen möchten. Da kommt so einiges zusammen. Wir haben viel gelernt. Eine letzte Dankesrunde mit einer Träne im Knopfloch und schon fährt uns das Taxi zum Bahnhof.

Bärbel und ich sitzen im ICE. Um dem Krach zu entgehen, setze ich meinen Kopfhörer auf. Es ist das Grauen, wenn dir der Filter fehlt. Mein überzogener Geruchssinn nimmt die unterschiedlichsten Parfüms wahr. Ein männliches mit extremem Tabakgeruch mischt sich mit dem billiger Waschmittel. Dazu gesellen sich diverse Schweißgerüche. Hier kann man eine gehetzte Gesellschaft studieren. Landschaften fliegen bei knapp 290 km/h an uns vorbei. Auf dem DB-Bildschirm an der Decke steht 'Wir fahren mit 100% Ökostrom'. Alle starren gekrümmt in ihre Smartphones. Ein Mann springt auf, zieht aus seiner Gepäcktasche eilig ein Deo und sprüht es sich unter die Achseln. Sein Umfeld wendet sich erschrocken kopfschüttelnd ab.

Zu Hause angekommen staunen wir über die üppige Vegetation in unserem Garten.

Aufbruchstimmung

Fortsetzung folgt nach Pfingsten.

Text und Fotos © MWJ · Mai 2024


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